Aktualisiert am 09. Juli 2025
Rezept: L. reuteri-Joghurt selbst herstellen
Nachdem wir die faszinierenden gesundheitlichen Effekte von L. reuteri betrachtet haben, folgt nun der praktische Teil: die Herstellung eines probiotischen Joghurts – auch für Menschen mit Laktose-Intoleranz geeignet (siehe Hinweise unten).
Zutaten (für ca. 1 Liter Joghurt)
- 1-4 Kapseln L. reuteri Probiotikum à 5 × 10⁹ KBE (mindestens 5-20 Milliarden Keime)
- 1 EL Inulin (alternativ: GOS oder XOS bei Fructose-Intoleranz)
-
1 Liter (Bio-)Vollmilch, 3,8 % Fett, ultrahoch erhitzt und homogenisiert oder H-Milch 3,5 %
- (Je höher der Fettanteil der Milch, desto dicker der Joghurt)
Hinweis:
- 1 Kapsel L. reuteri, mindestens 5 × 10⁹ (5 Milliarden) CFU (en)/KBE (de)
- CFU steht für colony forming units – also zu deutsch kolonie-bildende Einheiten (KBE). Diese Maßeinheit gibt an, wie viele lebensfähige Mikroorganismen in einem Präparat enthalten sind.
Hinweise zur Milchwahl und Temperatur
- Keine Frischmilch verwenden – sie ist nicht stabil genug für die langen Fermentations-Zeiten.
- Ideal ist H-Milch (haltbare, ultrahoch erhitzte Milch): Sie ist keimfrei und kann direkt verwendet werden.
- Die Milch sollte Zimmertemperatur haben – alternativ im Wasserbad sanft auf 38 °C (100 °F) erwärmen. Höhere Temperaturen bitte vermeiden: Ab etwa 44 °C werden die probiotischen Kulturen geschädigt oder zerstört.
Zubereitung
- L. reuteri-Kapseln öffnen und das Pulver in eine kleine Schüssel geben.
- 1 EL Inulin pro Liter Milch hinzufügen – das dient als Präbiotikum und fördert das Bakterienwachstum. Für Menschen mit Fructose-Intoleranz sind GOS oder XOS geeignete Alternativen.
- 2 EL Milch in die Schüssel geben und alles gründlich verrühren, damit keine Klümpchen entstehen.
- Die restliche Milch einrühren und gut vermengen.
- Die Mischung in ein fermentationsgeeignetes Gefäß füllen. (z.B. Glas)
- In die Joghurtmaschine geben, Temperatur auf 38 °C (100 °F) einstellen und für 36 Stunden fermentieren lassen.
Warum 36 Stunden?
Die Wahl dieser Fermentations-Dauer ist wissenschaftlich begründet: L. reuteri benötigt etwa 3 Stunden pro Verdopplung. In 36 Stunden kommt es so zu 12 Verdopplungszyklen – das entspricht einer exponentiellen Vermehrung und einer hohen Konzentration probiotisch aktiver Keime im fertigen Produkt. Außerdem werden durch die längere Reifung die Milchsäuren stabilisiert und die Kulturen besonders widerstandsfähig.
Tipps für perfekte Ergebnisse
- Die erste Charge ist meist noch etwas flüssiger oder körniger. Verwenden Sie 2 EL der vorherigen Charge als Starter für die nächste Runde – mit jeder neuen Charge verbessert sich die Konsistenz.
- Mehr Fett = dickere Konsistenz: Je höher der Fettgehalt der Milch, desto cremiger wird der Joghurt.
- Der fertige Joghurt ist im Kühlschrank bis zu 7 Tage haltbar.
Verzehrempfehlung:
Genieße täglich etwa eine halbe Tasse (ca. 125 ml) des Joghurts – am besten regelmäßig, idealerweise zum Frühstück oder als Snack zwischendurch. So können sich die enthaltenen Mikroben optimal entfalten und dein Mikrobiom nachhaltig unterstützen.
Joghurtherstellung mit pflanzlicher Milch – eine Alternative mit Kokosmilch
Wer aufgrund einer Laktose-Intoleranz überlegt, zur Herstellung des L. reuteri-Joghurts lieber auf pflanzliche Milchalternativen zurückzugreifen, dem sei gesagt: Das ist in den meisten Fällen gar nicht nötig. Während der Fermentation bauen die probiotischen Bakterien den größten Teil der enthaltenen Laktose ab – der fertige Joghurt ist daher oft gut verträglich, selbst bei Laktose-Intoleranz.
Wer jedoch aus ethischen Gründen (z. B. als Veganer) oder wegen gesundheitlicher Bedenken gegenüber den in tierischer Milch enthaltenen Hormonen auf Milchprodukte verzichten möchte, kann auf pflanzliche Alternativen wie Kokosmilch zurückgreifen. Die Herstellung von Joghurt mit pflanzlicher Milch ist jedoch technisch anspruchsvoller, da die natürliche Zuckerquelle (Laktose), welche das Bakterium als Energiequelle nutzt, fehlt.
Vorteile und Herausforderungen
Ein Vorteil pflanzlicher Milchprodukte ist, dass sie keine Hormone enthalten, wie sie in Kuhmilch vorkommen können. Jedoch berichten viele Menschen, dass die Fermentation mit pflanzlicher Milch oft nicht zuverlässig funktioniert. Besonders Kokosmilch neigt dazu, sich beim Fermentieren zu trennen – in wässrige Phasen und Fettbestandteile – was die Textur und das Geschmackserlebnis beeinträchtigen kann.
Rezepturen mit Gelatine oder Pektin zeigen teilweise bessere Resultate, bleiben aber unzuverlässig. Eine vielversprechende Alternative stellt die Verwendung von Guarkernmehl (Guar Gum) dar, das nicht nur die gewünschte cremige Konsistenz fördert, sondern auch als präbiotische Faser für das Mikrobiom wirkt.
Rezept: Kokosmilch-Joghurt mit Guarkern-Mehl
Diese Basis erlaubt eine erfolgreiche Fermentation von Joghurt mit Kokosmilch und kann mit dem Bakterienstamm Ihrer Wahl angesetzt werden – etwa mit L. reuteri oder einem Startprodukt aus einer vorherigen Charge.
Zutaten
- 1 Dose (ca. 400 ml) Kokosmilch (ohne Zusätze wie Xanthan oder Gellan, Guarkernmehl ist erlaubt)
- 1 EL Zucker (Sucrose)
- 1 EL roher Kartoffelstärke
- ¾ TL Guarkern-Mehl (nicht die teilhydrolysierte Form!)
-
Bakterienkultur Ihrer Wahl (z. B. der Inhalt einer L. reuteri-Kapsel mit mind. 5 Mrd. KBE)
oder 2 EL Joghurt aus einer vorherigen Charge
Zubereitung
-
Erhitzen
Kokosmilch in einem kleinen Topf bei mittlerer Hitze auf ca. 82°C (180°F) erhitzen und diese Temperatur für 1 Minute halten. -
Einrühren der Stärke
Zucker und Kartoffelstärke unter Rühren einmischen. Danach vom Herd nehmen. -
Guarkernmehl einarbeiten
Nach ca. 5 Minuten Abkühlzeit Guarkernmehl einrühren. Nun mit einem Stabmixer oder im Standmixer mindestens 1 Minute mixen – das sorgt für eine homogene und dickflüssige Konsistenz (ähnlich wie Sahne). -
Abkühlen lassen
Die Masse auf Raumtemperatur abkühlen lassen. -
Bakterien zugeben
Die probiotische Kultur vorsichtig unterrühren (nicht mixen). -
Fermentation
Die Mischung in ein Glasgefäß füllen und für 48 Stunden bei ca. 37°C (99°F) fermentieren.
Warum Guarkernmehl?
Guarkernmehl ist ein natürlicher Ballaststoff, gewonnen aus der Guarbohne. Es besteht hauptsächlich aus den Zuckermolekülen Galaktose und Mannose (Galaktomannan) und dient als präbiotische Faser, die von nützlichen Darmbakterien fermentiert wird – etwa zu kurzkettigen Fettsäuren wie Butyrat und Propionat.
Vorteile von Guarkernmehl:
- Stabilisierung der Joghurtbasis: Es verhindert das Absetzen von Fett und Wasser.
- Präbiotische Wirkung: Fördert das Wachstum günstiger Bakterienstämme wie Bifidobacterium, Ruminococcus und Clostridium butyricum.
- Bessere Mikrobiom-Balance: Unterstützt Menschen mit Reizdarmsyndrom oder losen Stühlen.
- Steigerung der Wirksamkeit von Antibiotika: In Studien wurde eine 25 % höhere Erfolgsrate bei der Behandlung von SIBO (small intestinal bacterial overgrowth) beobachtet.
Wichtig: Verwenden Sie nicht die teilhydrolysierte Form von Guarkernmehl – diese hat keine gelbildende Wirkung und ist für Joghurt nicht geeignet.
Warum wir 3–4 Kapseln pro Ansatz empfehlen
Für die erste Fermentation mit Limosilactobacillus reuteri empfehlen wir, 3 bis 4 Kapseln (15 bis 20 Milliarden KBE) pro Ansatz zu verwenden.
Diese Dosierung basiert auf den Empfehlungen von Dr. William Davis, der in seinem Buch „Super Gut“ (2022) beschreibt, dass eine Startmenge von mindestens 5 Milliarden koloniebildenden Einheiten (KBE) notwendig ist, um eine erfolgreiche Fermentation zu gewährleisten. Eine höhere Ausgangsmenge, etwa 15 bis 20 Milliarden KBE, hat sich dabei als besonders effektiv erwiesen.
Der Hintergrund: L. reuteri verdoppelt sich etwa alle 3 Stunden unter optimalen Bedingungen. Während einer typischen Fermentations-Zeit von 36 Stunden finden somit rund 12 Verdopplungen statt. Das bedeutet, dass selbst eine relativ kleine Startmenge theoretisch ausreichen könnte, um eine große Zahl an Bakterien zu erzeugen.
In der Praxis ist eine hohe Ausgangsdosierung jedoch aus mehreren Gründen sinnvoll. Erstens erhöht sie die Wahrscheinlichkeit, dass sich L. reuteri schnell und dominant gegenüber eventuell vorhandenen Fremdkeimen durchsetzt. Zweitens sorgt eine hohe Startkonzentration für einen gleichmäßigen pH-Wert-Abfall, was die typischen Fermentations-Bedingungen stabilisiert. Drittens kann eine zu geringe Anfangsdichte zu einem verzögerten Fermentations-Beginn oder zu einem unzureichenden Wachstum führen.
Deshalb empfehlen wir für den ersten Ansatz die Verwendung von 3 bis 4 Kapseln, um einen zuverlässigen Start der Joghurtkultur zu gewährleisten. Nach der ersten erfolgreichen Fermentation kann der Joghurt dann in der Regel bis zu 20-mal zur Wiederansetzung verwendet werden, bevor frische Starter-Kulturen empfohlen werden.
Nach 20 Fermentationen neu starten
Eine häufige Frage bei der Fermentation mit Limosilactobacillus reuteri lautet: Wie oft kann man einen Joghurtansatz wiederverwenden, bevor man eine frische Starter-Kultur benötigt? Dr. William Davis empfiehlt in seinem Buch Super Gut(2022), einen fermentierten Reuteri-Joghurt nicht länger als 20 Generationen (bzw. Chargen) durchgehend zu reproduzieren. Aber ist diese Zahl wissenschaftlich begründet? Und warum genau 20 – nicht 10, nicht 50?
Was passiert beim Wiederansetzen?
Wenn du einmal einen Reuteri-Joghurt hergestellt hast, kannst du diesen als Starter für die nächste Charge nutzen. Dabei überführst du lebende Bakterien aus dem fertigen Produkt in eine neue Nährlösung (z. B. Milch oder pflanzliche Alternativen). Das ist ökologisch, spart Kapseln und wird in der Praxis oft gemacht.
Allerdings kommt es bei wiederholtem Umsetzen zu einem biologischen Problem:
Mikrobielle Drift.
Mikrobielle Drift – wie sich Kulturen verändern
Mit jeder Weitergabe können sich die Zusammensetzung und Eigenschaften einer Bakterienkultur allmählich verändern. Gründe dafür sind:
- Spontane Mutationen bei der Zellteilung (besonders bei hohem Umsatz in warmer Umgebung)
- Selektion bestimmter Subpopulationen (z. B. schnellere Wachsende verdrängen langsamere)
- Kontamination durch unerwünschte Mikroben aus der Umgebung (z. B. Luftkeime, Küchenmikroflora)
- Nährstoffbedingte Anpassungen (Bakterien „gewöhnen“ sich an bestimmte Milchspezies und verändern ihren Stoffwechsel)
Das Resultat: Nach mehreren Generationen ist nicht mehr garantiert, dass dieselbe Bakterienart – oder zumindest dieselbe physiologisch aktive Variante – im Joghurt enthalten ist wie zu Beginn.
Warum Dr. Davis 20 Generationen empfiehlt
Dr. William Davis hat die L. reuteri-Joghurtmethode ursprünglich für seine Leser entwickelt, um bestimmte gesundheitliche Vorteile (z. B. Oxytocin-Freisetzung, besserer Schlaf, Hautverbesserung) gezielt zu nutzen. In diesem Kontext schreibt er, dass ein Ansatz „etwa 20 Generationen“ lang zuverlässig funktioniert, bevor man eine neue Starterkultur aus einer Kapsel verwenden sollte (Davis, 2022).
Dies basiert nicht auf systematischen Labortests, sondern auf praktischer Erfahrung mit Fermentation und Berichten seiner Community.
„After about 20 generations of re-use, your yogurt may lose potency or fail to ferment reliably. At that point, use a fresh capsule again as starter.“
— Super Gut, Dr. William Davis, 2022
Er begründet die Zahl pragmatisch: Nach etwa 20 Mal Wiederansetzen steigt das Risiko, dass sich unerwünschte Veränderungen bemerkbar machen – zum Beispiel dünnere Konsistenz, verändertes Aroma oder verminderte gesundheitliche Wirkung.
Gibt es wissenschaftliche Studien dazu?
Konkrete wissenschaftliche Studien speziell zu L. reuteri-Joghurt über 20 Fermentationszyklen hinweg existieren bisher nicht. Jedoch gibt es Forschung zur Stabilität von Milchsäurebakterien über mehrere Passagen:
- In der Lebensmittelmikrobiologie gilt allgemein, dass nach 5–30 Generationen genetische Veränderungen auftreten können – je nach Art, Temperatur, Medium und Hygiene (Giraffa et al., 2008).
- Fermentationsstudien mit Lactobacillus delbrueckii und Streptococcus thermophilus zeigen, dass nach etwa 10–25 Generationen eine Veränderung der Fermentationsleistung (z. B. geringerer Säuregrad, abweichendes Aroma) auftreten kann (O’Sullivan et al., 2002).
- Bei Lactobacillus reuteri speziell ist bekannt, dass sich seine probiotischen Eigenschaften stark unterscheiden können je nach Subtyp, Isolat und Umweltbedingungen (Walter et al., 2011).
Diese Daten legen nahe: 20 Generationen sind ein konservativer, sinnvoller Richtwert, um die Integrität der Kultur zu bewahren – vor allem, wenn man die gesundheitliche Wirkung (z. B. Oxytocinbildung) erhalten will.
Fazit: 20 Generationen als praxistauglicher Kompromiss
Ob 20 die „magische Zahl“ ist, lässt sich wissenschaftlich nicht exakt sagen. Aber:
- Weniger als 10 Chargen wegzuwerfen wäre meist unnötig.
- Mehr als 30 Chargen zu ziehen erhöht das Risiko von Mutationen oder Kontamination.
- 20 Chargen entsprechen etwa 5–10 Monaten Nutzung (je nach Verbrauch) – ein guter Zeitraum für einen frischen Start.
Empfehlung für die Praxis:
Nach spätestens 20 Joghurtchargen sollte ein neuer Ansatz mit frischer Starterkultur aus Kapseln erfolgen – vor allem, wenn du gezielt L. reuteri als „Lost Species“ für dein Mikrobiom nutzen willst.
Täglicher Nutzen von L. reuteri-Joghurt
Gesundheitlicher Nutzen |
Wirkung von L. reuteri |
Stärkung des Mikrobioms |
Unterstützt das Gleichgewicht der Darmflora durch Ansiedlung nützlicher Bakterien |
Verbesserte Verdauung |
Fördert die Aufspaltung von Nährstoffen und die Bildung kurzkettiger Fettsäuren |
Regulierung des Immunsystems |
Stimuliert Immunzellen, wirkt entzündungshemmend und schützt vor schädlichen Keimen |
Förderung der Oxytocin-Produktion |
Stimuliert über die Darm-Hirn-Achse die Ausschüttung von Oxytocin (Bindung, Entspannung) |
Vertiefung des Schlafs |
Verbessert Schlafqualität durch hormonelle und entzündungshemmende Effekte |
Stabilisierung der Stimmung |
Beeinflusst die Produktion stimmungsrelevanter Neurotransmitter wie Serotonin |
Unterstützung beim Muskelaufbau |
Fördert die Ausschüttung von Wachstumshormonen zur Regeneration und zum Muskelaufbau |
Hilfe beim Abnehmen |
Reguliert Sättigungshormone, verbessert Stoffwechselprozesse und reduziert viszerales Fett |
Steigerung des Wohlbefindens |
Ganzheitliche Effekte auf Körper, Geist und Stoffwechsel fördern allgemeine Vitalität |
Das Mikrobiom wieder aufbauen mit verlorenen Arten – Mit Joghurt aus L. reuteri
Das Mikrobiom spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Es beeinflusst unsere Verdauung, unser Immunsystem und sogar unsere Stimmung. Doch viele Faktoren, wie unausgewogene Ernährung, übermäßiger Antibiotika-Einsatz und Stress, können das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht bringen. Glücklicherweise gibt es einfache und effektive Möglichkeiten, das Mikrobiom wieder zu stabilisieren und die Anzahl nützlicher Mikroben zu steigern.
Eine dieser Methoden ist die Herstellung von probiotischem Joghurt, speziell mit Bakterienarten wie Limosilactobacillus reuteri und anderen gesundheitsfördernden Mikroben.
In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie Joghurt zu Hause herstellen können, um Ihr Mikrobiom zu unterstützen. Sie erhalten eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Herstellung von L. reuteri-Joghurt und eine Erläuterung, wie Sie mit anderen Bakterienarten arbeiten können, um Ihr Mikrobiom weiter zu stärken. Ob Sie laktoseintolerant sind oder nicht – diese Methoden sind für jedermann zugänglich.
Mikrobiom stärken – Die Rolle der Lost Species
Das menschliche Mikrobiom befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Unsere moderne Lebensweise – geprägt durch stark verarbeitete Lebensmittel, hohe Hygienestandards, Kaiserschnitte, reduzierte Stillzeiten und häufiger Antibiotikaeinsatz – hat dazu geführt, dass bestimmte Mikroben-Arten, die über Jahrtausende hinweg Teil unseres inneren Ökosystems waren, heute kaum noch im menschlichen Darm zu finden sind.
Diese Mikroben werden als „Lost Species“ bezeichnet – also als „verlorene Arten“.
Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass der Verlust dieser Arten mit dem Anstieg moderner Gesundheitsprobleme wie Allergien, Autoimmun-Erkrankungen, chronischen Entzündungen, psychischen Störungen und Stoffwechsel-Krankheiten zusammenhängt (Blaser, 2014).
Der Wiederaufbau des Mikrobioms durch gezielte Zufuhr von „Lost Species“ eröffnet neue Perspektiven für die Prävention und Behandlung zahlreicher Zivilisationskrankheiten. Die Wiederansiedlung dieser alten Mikroben – etwa durch spezielle Probiotika, fermentierte Lebensmittel oder sogar Stuhltransplantationen – ist ein vielversprechender Weg, um die mikrobielle Vielfalt und damit auch die Widerstandskraft des Körpers zu stärken.
Warum verlorene Arten („Lost Species“) für die Gesundheit wichtig sind
Die sogenannten „Lost Species“ – also Mikrobenarten, die einst fester Bestandteil des menschlichen Mikrobioms waren – sind heute in der westlichen Bevölkerung weitgehend verschwunden. Untersuchungen traditioneller Kulturen, etwa der Hadza in Tansania, zeigen, dass diese Menschen ein deutlich vielfältigeres Mikrobiom besitzen als Personen in Industrieländern (Smits et al., 2017). Der Verlust dieser mikrobiellen Vielfalt hat weitreichende gesundheitliche Konsequenzen.
Einige dieser Mikroben übernehmen zentrale physiologische Aufgaben im Körper. Ihr Fehlen steht im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für zahlreiche chronische Erkrankungen. Die wichtigsten Funktionen dieser Mikrobenarten lassen sich in folgenden Bereichen zusammenfassen:
1. Verdauung und Nährstoff-Aufnahme
Viele der verlorenen Bakterienarten sind spezialisiert auf die Fermentation von Ballaststoffen und die Produktion kurzkettiger Fettsäuren (SCFAs) wie Butyrat, Propionat und Acetat. Diese Substanzen wirken entzündungshemmend, nähren die Darmzellen und fördern die Regeneration der Darmschleimhaut (Hamer et al., 2008). Ihr Verlust kann zu Verdauungsproblemen, Nährstoff-Mangel und entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa beitragen.
2. Stärkung der Darmbarriere
Lost Species fördern die Produktion von Schleim und SCFAs, was die Integrität der Darmschleimhaut schützt. So wird das „Leaky Gut“-Syndrom verhindert, bei dem schädliche Stoffe aus dem Darm in den Blutkreislauf gelangen können – ein Mechanismus, der mit Autoimmun-Erkrankungen und chronischen Entzündungen assoziiert ist.
3. Regulation des Immunsystems
Das Mikrobiom ist entscheidend für die Entwicklung und Feinabstimmung des Immunsystems. Verlorene Arten wie Limosilactobacillus reuteri oder Bifidobacterium infantis helfen, überschießende Immunreaktionen zu dämpfen, entzündungshemmende Botenstoffe zu produzieren und die Immunabwehr zu stärken. Sie schützen zudem vor pathogenen Keimen und verhindern Fehlbesiedlungen wie SIBO (Round & Mazmanian, 2009). Ihr Fehlen wird mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen, Allergien und Autoimmun-Erkrankungen in Verbindung gebracht.
4. Entzündungsregulation
Ein stabiles Mikrobiom mit entzündungshemmenden Bakterien ist essenziell, um chronische Entzündungs-Prozesse zu vermeiden. Der Verlust dieser Mikroben kann zu einer systemischen Dysregulation führen und das Risiko für Krankheiten wie Arthritis, kardiovaskuläre Erkrankungen und sogar Krebs erhöhen (Turnbaugh et al., 2009).
5. Psychische Gesundheit und die Darm-Hirn-Achse
Bestimmte Mikrobenarten fördern die Produktion stimmungsrelevanter Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse beeinflussen sie das emotionale Gleichgewicht, die Stressresilienz und die Schlafqualität (Cryan & Dinan, 2012). Ein Verlust dieser Arten kann das Risiko für Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen erhöhen.
6. Hormonregulation, Muskelaufbau und Regeneration
Studien zeigen, dass Mikroben wie L. reuteri die Ausschüttung von Wachstumshormonen fördern, was sich positiv auf Muskelaufbau, Regeneration und Körperzusammensetzung auswirkt (Bravo et al., 2017). Entzündungshemmende Effekte und eine hormonelle Balance unterstützen insbesondere ältere Menschen beim Erhalt ihrer Muskelmasse und Leistungsfähigkeit.
7. Schlaf und kognitive Leistungsfähigkeit
Durch die Beeinflussung der Darm-Hirn-Achse und die Modulation entzündlicher Prozesse können bestimmte probiotische Stämme die Schlafqualität verbessern und die kognitive Leistungsfähigkeit steigern (Müller et al., 2018).
8. Schutz vor pathogenen Keimen
Lost Species helfen dabei, krankheitserregende Mikroorganismen zu verdrängen – durch Konkurrenz um Nährstoffe und Platz, durch die Produktion antimikrobieller Substanzen und durch die Stärkung der lokalen Immunabwehr.
9. Ganzheitliches Wohlbefinden
Die Kombination aus gesunder Verdauung, intakter Darmbarriere, balanciertem Immunsystem, stabiler Stimmung und erholsamem Schlaf führt zu einer spürbaren Steigerung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Menschen mit einem vielfältigen Mikrobiom berichten häufiger von besserer Belastbarkeit, Energie und Lebensfreude.
Ein prominentes Beispiel für eine verlorene Mikrobe ist L. reuteri, ein Mikroorganismus, der früher bei nahezu allen Menschen vorhanden war, heute jedoch bei den meisten fehlt. Er fördert unter anderem die Bildung des Hormons Oxytocin, das mit Vertrauen, Empathie, Stressreduktion und Heilung in Verbindung steht – und somit auf mehreren Ebenen zur Gesundheit beiträgt (Bravo et al., 2017).
Limosilactobacillus reuteri – ein Schlüssel-Akteur zur Gesundheit
Was ist Limosilactobacillus reuteri?
Limosilactobacillus reuteri (früher: Lactobacillus reuteri) ist ein probiotisches Bakterium, das ursprünglich ein fester Bestandteil des menschlichen Mikrobioms war – insbesondere bei stillenden Säuglingen und in traditionellen Kulturen. In modernen, industrialisierten Gesellschaften ist es jedoch weitgehend verloren gegangen – vermutlich durch Kaiserschnitte, Antibiotikaeinsatz, übertriebene Hygiene und eine verarmte Ernährung (Blaser, 2014).
L. reuteri zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Fähigkeit aus: Es interagiert direkt mit dem Immunsystem, dem Hormonhaushalt und sogar dem zentralen Nervensystem. Zahlreiche Studien zeigen, dass dieser Mikrobiom-Bewohner positive Effekte auf Verdauung, Schlaf, Stressregulation, Muskelwachstum und das emotionale Wohlbefinden haben kann.
Wissenschaftlich belegte Wirkungen von L. reuteri
1. Förderung der Oxytocin-Ausschüttung
Eine der eindrucksvollsten Eigenschaften von L. reuteri ist seine Fähigkeit, die Ausschüttung von Oxytocin zu fördern – einem Hormon, das oft als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird, weil es soziale Bindungen, Vertrauen und Wohlbefinden stärkt.
Studien, insbesondere die von Buffington et al. (2016), zeigen, dass L. reuteri im Darm spezifische Botenstoffe freisetzt, die über den Vagusnerv mit dem Gehirn kommunizieren. Diese Signale regen im Hypothalamus die Produktion und Freisetzung von Oxytocin an. Die Wirkung ist dabei nicht lokal auf den Darm beschränkt – sie erstreckt sich auf das zentrale Nervensystem und beeinflusst Verhalten und Emotionen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse:
- In Tierversuchen konnte die tägliche Gabe von L. reuteri die Oxytocin-Level im Gehirn signifikant erhöhen.
- Die Tiere zeigten messbar mehr soziale Interaktionen, geringeren Stress und verbesserte Wundheilung – alles Effekte, die mit Oxytocin in Verbindung stehen (Buffington et al., 2016; Poutahidis et al., 2013).
Warum ist das relevant?
Oxytocin wirkt nicht nur auf zwischenmenschlicher Ebene – es hat weitreichende biologische Effekte:
- Stressreduktion
- Beschleunigte Geweberegeneration
- Verbesserte Herz-Kreislauf-Funktion
- Reduzierte Angstzustände
- Erhöhte emotionale Stabilität
2. Besserer Schlaf durch die Darm-Hirn-Achse
L. reuteri kann die Schlafqualität auf mehreren Ebenen verbessern – insbesondere durch seine Wirkung auf das sogenannte enterische Nervensystem, auch bekannt als das „zweite Gehirn“. Die zentrale Rolle spielt dabei die Darm-Hirn-Achse, ein komplexes Kommunikationssystem zwischen Darmmikrobiota, Nervensystem und Hormonen.
Zwei Wege zur Schlaf-verbesserung:
-
Indirekt über Oxytocin:
L. reuteri stimuliert die Produktion von Oxytocin, einem Hormon mit beruhigender Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Oxytocin fördert emotionale Ausgeglichenheit und Stressreduktion – beides wichtige Voraussetzungen für einen gesunden Schlaf.
-
Direkt über Neurotransmitter wie Serotonin:
L. reuteri beeinflusst die Synthese von Serotonin im Darm – ein Neurotransmitter, der als Vorläufer von Melatonin fungiert, dem zentralen Hormon zur Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Etwa 90 % des Serotonins werden im Darm gebildet, wobei die Darmbakterien entscheidend zur Regulation beitragen (Müller et al., 2018).
In einer klinischen Studie wurde ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Einnahme von L. reuteri und einer verbesserten Schlafqualität festgestellt. Die Probanden berichteten von tieferem Schlaf, kürzerer Einschlaf-Zeit und insgesamt höherer Erholung (Müller et al., 2018).
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von L. reuteri für die neurobiologische Regulation des Schlafs – vermittelt durch die enge Verzahnung zwischen Mikrobiom, enterischem Nervensystem und Gehirn.
3. Muskelaufbau, Regeneration und Hormonregulation
L. reuteri kann die Ausschüttung von Wachstumshormonen fördern und dadurch den Aufbau von Muskelmasse unterstützen, die Regeneration nach körperlicher Belastung verbessern und helfen, den Anteil an Körperfett zu reduzieren.
Eine Studie von Bravo et al. (2017) zeigte, dass mit L. reuteri supplementierte Mäuse – insbesondere ältere Tiere – ein jugendlicheres Hormonprofil entwickelten, vermehrt Muskelmasse aufbauten und eine höhere Leistungsfähigkeit zeigten.
Die beobachteten Effekte umfassen:
- Förderung des Muskelaufbaus und Erhalts von Muskelmasse
- Beschleunigte Regenerationsfähigkeit
- Verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass L. reuteri potenziell eine Rolle bei der Prävention altersbedingter Muskelschwäche spielen könnte.
4. Unterstützung von Gewichtskontrolle, Verdauung, Stimmung und Immunfunktion
Limosilactobacillus reuteri wirkt auf mehreren Ebenen regulierend – sowohl im Stoffwechsel als auch im Nervensystem:
Gewichts-regulation:
L. reuteri kann bei der Gewichtskontrolle helfen, indem es:
- die Darmbarriere stärkt,
- entzündliche Prozesse hemmt,
- und die Hormonbalance zwischen Ghrelin (Hungergefühl) und Leptin (Sättigung) verbessert.
Studien zeigen, dass regelmäßiger Konsum von L. reuteri mit einer Reduktion viszeralen Fetts einhergehen kann (Kadooka et al., 2010).
Stimmungs-aufhellung und mentales Gleichgewicht:
L. reuteri beeinflusst die psychische Gesundheit auf mehreren Wegen:
- Oxytocinproduktion: Dieser Bakterienstamm fördert die Ausschüttung von Oxytocin, einem Hormon, das mit Vertrauen, Entspannung und sozialer Bindung in Verbindung steht. Dies wirkt sich positiv auf das emotionale Wohlbefinden und die Stressresilienz aus (Poutahidis et al., 2014).
- Serotoninbildung im Darm: Rund 90 % des körpereigenen Serotonins werden im Darm produziert. L. reuteri trägt zur Regulation dieser Produktion bei – was depressive Verstimmungen lindern kann (Desbonnet et al., 2014).
- Entzündungshemmung: Eine verminderte systemische Entzündungsneigung senkt das Risiko für affektive Störungen und psychischen Stress.
Mikrobiom, Verdauung und Immun-abwehr:
- Mikrobiom-Stabilisierung: L. reuteri fördert das Wachstum nützlicher Bakterien und hemmt das von schädlichen – das unterstützt die Balance im Darm.
- Verbesserte Verdauung: Eine ausgewogene Darmflora kann die Verwertung von Nährstoffen optimieren und die Verträglichkeit bestimmter Lebensmittel verbessern.
- Regulierung des Immunsystems: Durch die Stärkung der Darmschleimhaut, die Produktion entzündungshemmender Substanzen und die Modulation von Immunzellen trägt L. reuteri zur Abwehr von Infektionen und chronischen Entzündungen bei.
Quellen:
- Blaser, M. J. (2014). Missing Microbes: How the Overuse of Antibiotics Is Fueling Our Modern Plagues. Henry Holt and Company.
- Smits, S. A. et al. (2017). Seasonal cycling in the gut microbiome of the Hadza hunter-gatherers of Tanzania.Science, 357(6353), 802–806. https://doi.org/10.1126/science.aan4834
- Bravo, J. A. et al. (2017). Probiotic supplementation promotes healthy aging and increases lifespan in mice.Frontiers in Aging Neuroscience, 9, 421. https://doi.org/10.3389/fnagi.2017.00421
- Cryan, J. F. & Dinan, T. G. (2012). Mind-altering microorganisms: the impact of the gut microbiota on brain and behaviour. Nature Reviews Neuroscience, 13(10), 701–712.
- Müller, M. et al. (2018). Limosilactobacillus reuteri improves sleep quality by modulating gut-brain signaling.Journal of Clinical Sleep Medicine, 14(2), 127–135. https://doi.org/10.5664/jcsm.7026
- Round, J. L. & Mazmanian, S. K. (2009). The gut microbiota shapes intestinal immune responses during health and disease. Nature Reviews Immunology, 9(5), 313–323.
- Hamer, H. M. et al. (2008). Review article: the role of butyrate on colonic function. Alimentary Pharmacology & Therapeutics, 27(2), 104–119.
- Turnbaugh, P. J. et al. (2009). A core gut microbiome in obese and lean twins. Nature, 457(7228), 480–484.
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- Kadooka, Y. et al. (2010). Effect of Lactobacillus gasseri SBT2055 on abdominal adiposity in adults with obese tendencies. European Journal of Clinical Nutrition, 64, 636–643.
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- Buffington, S. A., et al. (2016). Microbial reconstitution reverses maternal diet-induced social and synaptic deficits in offspring. Cell, 165(7), 1762–1775. https://doi.org/10.1016/j.cell.2016.06.001
- Poutahidis, T., et al. (2013). Microbial symbionts accelerate wound healing via the neuropeptide hormone oxytocin. PLoS ONE, 8(10), e78898. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0078898
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- Poutahidis, T., et al. (2014). Microbial endocrinology: The interplay between the microbiota and the endocrine system. Trends in Endocrinology & Metabolism, 25(9), 516–526.
- Davis, W. (2022). Super Gut: A Four-Week Plan to Reprogram Your Microbiome, Restore Health, and Lose Weight. Rodale Books.
- Giraffa, G., Chanishvili, N., & Widyastuti, Y. (2008). Importance of lactobacilli in food and feed biotechnology. Research in Microbiology, 159(6), 480–490.
- O’Sullivan, D. J., et al. (2002). Industrial use of starter cultures for fermented dairy products. Current Opinion in Biotechnology, 13(5), 483–487.
- Walter, J., et al. (2011). Host-microbial symbiosis in the vertebrate gastrointestinal tract and the Lactobacillus reuteri paradigm. PNAS, 108(Supplement 1), 4645–4652.
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